Der Müller und das Wichtel

Peter Auzinger (1836 -1914)

Als vor vielen hundert Jahren
Geister hausten auf der Welt,
War es wohl in manchem Hause
Wirklich schön und gut bestellt.
Ueberströmt vom reichsten Segen
War, wer Geister Schutz gewann.
Brachten Hilfe jedem Menschen,
Wenn er folgte ihrer Bahn. —
Damals lebte Konrad Leiter,
War ein Müller allzumal,
Lebte nur durch Stein und Wasser,
Wie die Müller eben all‘. —
Und es klappert in der Mühle
Lustig fort bei Tag und Nacht,
Rührig stehet Konrad darinnen,
Bis das Tagewerk vollbracht. —
Und so ging es manche Jahre,
Immer froh und wohlgemuth;
Da auf einmal schweigt das Klappern
Und das Mühlrad steht und ruht.
Traurig schleicht der Müllerbursche
Aus der Mühle über’s Feld,
Bis er vor dem größten Hause

In dem kleinen Dorfe hält.
Und er spricht hinauf zum Fenster,
Mit dem Auge thränennaß:
„Lang‘ genug, Du stolze Dirne,
Triebst mit mir Du Deinen Spaß.
Wenn ein treues Herz will brechen,
Lachst Du höhnisch nur dazu;
Tändelst, kosest mit den Andern,
Raubest mir die Seelenruh‘.
Hab‘ für Dich mein ganzes Leben
Harte Arbeit nicht gescheut,
Auch ein Schärflein mir errungen,
Das uns Beiden Nahrung beut.
Aber Du bist stolz und trotzig,
Schämst des armen Burschen Dich;
Uebermüt’ge stolze Dirne,
Morgen sicher willst Du mich!“ —
Und er geht mit bleicher Wange
Seiner stillen Mühle zu,
Will im kleinen Mühlenbache
Finden seine Seelenruh‘.
Steht verzweifelt schon am Rande
Und empfiehlt die Seele Gott —
„Treibe morgen, Uebermüt’ge,
Herzlos mit der Leiche Spott!“ —
Schon will er den Sprung jetzt wagen,
Doch da schreckt er plötzlich auf,
Denn im Dunkel aus dem Busche
Taucht ein kleines Männlein auf.

Steht vor ihm und schaut ihm lachend
In’s verstörte Angesicht:
„Ei!“ sprach’s jetzt, „der Müller ruhet
Und die Mühle klappert nicht?“ —
Doch der Müller war zum Spaße
Eben wenig aufgelegt:
„Mißgeburt von einem Menschen,
Geh‘, so weit der Fuß Dich trägt!“
„Oho, Herr Müller, nur nicht patzig,
Ei, was seid Ihr so betrübt!
Müllerbürschlein, Müllerbürschlein,
Wett‘ ich doch, Du bist verliebt!“
Da wird Konrad wild und heftig,
Und er schreit: „Was geht’s Dich an?“
„Ei! nur nicht so wild und beißend,
Möglich, daß ich helfen kann!“
„Helfen? — Du? wär’s nicht so schmerzlich,
Müßt‘ beinah‘ ich lachen jetzt.“
„Nun, so lache! immer besser,
Als dem Leben zugesetzt!“
Doch ein leiser Hoffnungsschimmer
Dringt dem Müller in das Herz,
Und er spricht schon etwas milder:
„Treib‘ mit mir doch keinen Scherz!“
„Sieh‘! so seid ihr Menschen Alle,“
D’rauf das kleine Männlein spricht,
„Helfen könntet ihr euch immer,
Aber meistens wollt ihr nicht.
Kenne Dich, seitdem Du lebest,

Bist ein braver Bursch‘ fürwahr;
Schütze Deine kleine Mühle
Wohl schon über hundert Jahr.
Habe sie in Stand gehalten
Bis zum heut’gen Tag auf’s Best‘:
Jetzt auf einmal willst Du, Tollkopf,
Treiben mich vom warmen Nest;
Aber das darf nicht geschehen!
Diese Dirne, klug und schlau,
Die Dich kalt und herzlos höhnet —
Wird noch heute Deine Frau!“
Da ergreift es Konrad mächtig,
Schaut erstaunt das Männlein an,
Freudig zitternd fragt er hastig:
„Sage nur, wie stellst Du’s an?“ —
„Ei! das ist zum närrisch werden
Mit dem leidigen Gefrag‘.
Wie ich’s mach‘ ist meine Sache,
Thue nur, was ich Dir sag‘!
Gehst hinauf jetzt in die Schenke,
Trinkest eine Kanne Wein;
Wird sich dann schon etwas finden,
Daß sich stellt die Liebste ein!“ —
Und in freudiger Erregung
Spricht der Müller seinen Dank.
Sagt, wie die verschmähte Liebe
Macht das Herz ihm gar so krank;
Doch das kleine graue Wichtel
Schweigen mit der Hand gebot:

„Geh‘ nur, geh‘! ich helfe gerne
Braven Menschen aus der Not!“ —
Und er gehet in die Schenke,
Fordert eine Kanne Wein;
Setzt sich still in eine Ecke,
Träumt sich in sein Glück hinein.
D’rüben auf dem andern Tische
Sitzt ein Trupp beim Würfelspiel;
Spielten wohl um hohe Summen,
Denn da gab’s der Thaler viel.
„Fünfzehnhundert“, sprach der Eine;
„Jetzt genug — ich will nicht mehr.
Kannst mich ja gar nie mehr zahlen!“
Lachend aber schreit jetzt der:
„Das thut nichts, ich bin der Bräutigam
Von der reichsten Dirn‘ im Ort!
Hahaha! Will’s ewig bleiben? —
Ihre Thaler müssen fort!
Hab‘ ich erst die Frucht gekostet
Und den Säckel ausgeleert,
Mag sie der zum Weibe nehmen,
Der nur Lieb‘ von ihr begehrt!“ —
„Ja, man muß die Dirnen kitzeln,
Will man Hahn im Korbe sein;
Feil ist jede; und verstehst Du’s,
Führt s‘ dich selbst in’s Kämmerlein!“ —
Konrad horcht und höret bebend
Seines Nebenbuhlers Witz.
Blitzschnell war er hingesprungen,

Schleudert wütend ihn vom Sitz
Und erfaßt mit starkem Arme
Zornerglüht ihn an der Kehle,
Rufend: „Schuft! empfiehl dem Herrgott
Die verdammte Schurkenseele!“ —
Plötzlich öffnet sich die Thüre:
„Konrad, halt‘, vergieß‘ kein Blut!“ —
Und am wogend wilden Herzen
Seines Liebchens Stirne ruht.
Da, als war‘ die Kraft gebrochen
Durch der Liebe Zaubermacht,
Läßt er willenlos sich leiten
Aus der Schenke in die Nacht.
Unter’m freien Sternenhimmel
Rafft er seine Sinn‘ zusamm‘
Und er fragt die weinend stille,
Wie sie in die Schenke kam? —
„Wie es kam? du liebster Himmel!“
D’rauf das Mädel sinnend spricht,
„Das kann ich Dir wohl nicht sagen,
Weiß ich’s doch fast selber nicht!
Angst trieb mich aus meiner Kammer,
Reu‘ hatt‘ mir die Brust beengt:
Weil ich einzig Dich nur liebte,
Dessen Herz ich so gekränkt;
Wollte Luft und Ruhe suchen
Für den aufgeregten Geist,
Und so kam ich an die Schenke,
Sah‘ und hörte was Du weißt;

Aber jetzt, mein treuer Konrad,
Jetzt fühl‘ ich die Brust so frei
Und nur Eins drückt mich am Herzen,
Du mein teurer Mann! verzeih‘!“
Und statt aller vieler Worte
Schließt er sie in seinen Arm,
Drückt an’s Herz die Heißgeliebte,
Küßt die kalten Lippen warm.
Seligkeit erfüllt die Herzen,
Die die einz’ge Stund‘ gebracht;
Und beglückt und wonnetrunken
Wünschen sie sich „Gute Nacht!“
Als er eilet hin zum Bache;
Wo das kleine Wichtel harrt,
Ruft es schon: „Nun Liebesritter!
Hast Du glücklich Dich gepaart?“
Als er’s dankend will umarmen,
Sitzt es oben auf dem Dach:
„Gute Nacht, verliebter Müller!
Ueber’s Jahr kommt Etwas nach!“
Ruft’s und war vom Dach verschwunden
Und der Müller war allein.
Nach zwei Wochen führt sein Bräutchen
Konrad in die Mühle ein.
Seitdem klappert’s in der Mühle
Wieder fort bei Tag und Nacht,
Rührig stehet Konrad darinnen
Bis das Werk zu End‘ gebracht.

 

Kann unsere Welt ein bisschen guten Zauber vertragen … ?

Wie siehst du das?